DIE LINKE UND DER FUSSBALL – EIN LINKES SOMMERMÄRCHEN AUS FRANKFURT

Fundstellen zum Thema „Die Linke und der Fußball“ sind bis Anfang der 1990er Jahre rar gesät. Daran änderte auch nichts die aufrüttelnde Rede, die Walter Jens 1975 auf der Jubiläumsveranstaltung des DFB hielt. Jens war der Erste, der ausdrücklich auf die nationalsozialistische Vergangenheit des DFB hinwies. Fortan galt er bei den deutschen Fußballfunktionären als Nestbeschmutzer.

Umso schöner ist es dann, wenn man in Büchern, in denen man gar nicht damit rechnet, einen Hinweis zu diesem Thema findet. So auch in einem Buch der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe, das erstmals 2001 veröffentlicht wurde. „Die Hunde bellen… Von A bis RZ“ soll eine „Zeitreise durch die 68 Revolte, zu den militanten Kämpfen der 70er bis 90er Jahre“ sein, wie es im Untertitel heißt (ich beziehe mich dabei auf die im Jahre 2013 veröffentlichte E-Book-Ausgabe, erschienen im Unrast-Verlag, Münster).

Große Freude schließlich beim Kapitel „Eine Start- und eine Landebahn für den militanten Widerstand“. Es handelt sich hierbei um eine Beschreibung der Frankfurter militanten Szene rund um das Jahr 1980. Dabei schildert der Autor dieses Kapitels, Wolf Wetzel, detailliert eine Aktion seiner Gruppe anlässlich des Länderspiels „Argentinien – Deutschland im Frankfurter Waldstadion“. Sie wollten die Gelegenheit nutzen und gegen die in Argentinien herrschende Militärdiktatur ein Zeichen setzen: „In unserer Phantasie stellten wir uns vor, dass Millionen von ZuschauerInnen vor den Fernseher [sic] sitzen, die Live-Übertragung verfolgen und sich von irgendjemand, der deutsch kann, erklären lassen, dass die Parole auf dem Rasen eine Protestaktion gegen die argentinische Militärdiktatur zum Ausdruck bringen soll“.

Die Aktion fand in der Nacht vor dem Länderspiel statt und wird von Wetzel anschaulich beschrieben: Die Anfahrt der Gruppe im geschlossenen Ford Transit. Leider mussten sie ihre Aktion im wider Erwarten eingeschalteten Flutlicht durchführen, doch letztendlich lief alles wie geplant. So besprühte eine Gruppe die Anzeigentafel mit einer Parole. Eine zweite gravierte mit Abbeize große Buchstaben in den Rasen. Eine dritte Gruppe versah die Tartanbahn mit „weiteren Anmerkungen zum Stand der deutsch-argentinischen Freundschaft“. Begeisterung machte sich bei den AktivistInnen nach getaner Arbeit breit.

Umso größer war jedoch am anderen Abend die Enttäuschung, dass „während der Live-Übertragung so gut wie nichts mehr davon“ zu sehen war. „Die Anzeigentafel war gereinigt, die Tartanbahn wurde mit Plastikplanen abgedeckt und ziemlich fassungslos schauten wir – immer und immer wieder – auf das große Stück Rasen, rechts von der Mittellinie, um irgendetwas zu entdecken, was noch auf unsere Aktion hinwies“. Denn, die Stadionverwaltung hatte als Gegenmaßnahme  „kübelweise Sand über den verätzten Rasen ausgeschüttet“. Darunter soll das Spiel gelitten haben, aber von der nächtlichen Aktion weder etwas zu sehen noch zu hören. Heißt es.

Da Wetzel keinen genauen Termin für dieses Spiel angab (es heißt lediglich, dass ein Jahr später Räumungen auf einem Fabrikgelände in Frankfurt-Nied erfolgten, und dies war 1981 der Fall), versuchte ich selbst, das Spieldatum herauszufinden. So etwas lässt sich ja inzwischen leicht klären – dachte ich zumindest. Zunächst also bei „fussballdaten.de“ nachgesehen. Erste Irritation, denn es wird kein Länderspiel gegen Argentinien für das Jahr 1980 angegeben. Heimspiele gegen den Weltmeister des Jahres 1978 fanden im September 1979 in Berlin und dann erst wieder im September 1984 in Düsseldorf statt. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, dass die Angaben bei „fussballdaten.de“ nicht immer fehlerfrei sind. Also weiter recherchiert. Die unterschiedlichsten Wikipediaseiten (z.B. Länderspiele der argentinischen Nationalmannschaft, Länderspiele im Frankfurter Waldstadion) ergaben kein anderes Ergebnis. Schließlich noch die Angaben auf der Website des DFB geprüft. Doch auch hiernach fand im besagten Zeitraum kein Länderspiel Deutschland – Argentinien statt. Dies gilt zumindest für die A-Mannschaften. Und über Spiele von B-Mannschaften wurde 1980 noch nicht live im Fernsehen berichtet.

Nach meinen Recherchen hat das von Wetzel genannte Spiel nicht stattgefunden. Es gab demnach auch keine Aktion gegen die argentinische Militärdiktatur im Frankfurter Waldstadion. Aber was spielte sich dann ab? Bloß ein linkes Sommermärchen?

Auf meine Ende Oktober dieses Jahres an Wolf Wetzel gerichtete Anfrage, mir bitte den Sachverhalt zu erläutern, bekam ich leider keine Antwort.